Nicht mehr jung zu sein, ist gut.
Viel seltener rutscht das männliche Gegenüber in die Rolle des ungefragten Machers, Entscheiders, Gaffers, Machos, Pfaus und Produzenten von unerwünschten Kommentaren. Ein Segen!
Natürlich sind Männer auch nur Menschen und es gibt unendlich viele sehr nette männliche Menschen, die weiblichen Menschen völlig unkompliziert auf Augenhöhe begegnen. Aber es gibt immer noch viel zu viele andere.
Die Frauen anstarren.
Zu nahe kommen.
Sich vor ihnen produzieren.
Sie einschüchtern.
Sie nicht einstellen.
Sie nicht gleichstellen.
Die Frauen für einen kurzen Moment als Objekt benutzen. Manchmal getarnt unter scheinbarer Höflichkeit der kulturellen Konvention.
Es gibt immer noch viel zu viele Strukturen, öffentliche und nicht öffentliche, die Frauen schlechterstellen – sozial, gesellschaftlich und finanziell.
Auch 2020 scheinen Frauen noch Gegenstände des öffentlichen Raums zu sein. Schön oder nicht schön anzugucken, zu bewerten, ungefragt zu beraten, zu klassifizieren, zu reduzieren.
Ein Mann muss sich im Verhältnis zu einer Frau heute immer noch nicht so vielen „Vorstellungen von“ aussetzen. In Fakten ausgedrückt ist es zwar so, dass wir in den Schulen die Gleichstellung von Schülerinnen und Schülern erreicht haben. Aber im Anschluss an die Schule Mädchen immer noch Berufsfelder wählen, die familienfreundlich sind. Das ist ja AN SICH nichts Problematisches, führt aber heute leider immer noch sehr häufig zu finanzieller Abhängigkeit und wesentlich schlechterer Altersversorgung. Immer noch gehen Frauen Wege, die das klassischen Rollenbild einer Frau in der Familie bedienen und sorgen schlecht für SICH, während sie ANDERE versorgen.
Kurzer Spot auf eine Szene an meinem Arbeitsplatz:
Wir haben eine interne Fortbildung, bei der das Kollegium selbst ein Buffet zusammenstellt. Zwei Kolleginnen im fortgeschrittenen Alter sind unsere „Küchenfeen“ (HILFE!!!). Sie machen das schon seit Jahren. Sie ziehen sich wie selbstverständlich Schürzen an und richten das Buffet her. Eifrig wuseln sie den ganzen Tag umher, räumen abgegessene Platten ab und bestücken die Spülmaschine. Dafür werden sie dann besonders gewertschätzt…
Da kriege ich einen Anfall.
Ich kann das Bild, dass die beiden fleißigen Frauen abgeben, nicht ertragen. Sie sind keine Küchenfeen, sie sind hochkompetente Mitarbeiterinnen, erfahren und innovativ.
Bei der letzten Fortbildung gehe ich zu der einen Kollegin und spreche sie an. Ich spiegele ihr ihren Auftritt und sage ihr, was das mit mir macht. Sie ist nicht beleidigt. Sie nickt und sagt: Ich habe mich schon länger damit nicht mehr wohlgefühlt. Es ist anstrengend und es macht mir gar keinen Spaß.
Sie zieht die Schürze aus. Wir überlegen, dass sich unbedingt etwas ändern muss.
Ich trage bei der Evaluation dieser Veranstaltungen immer ein, dass ich kein selbstgemachtes Buffet will. Ich koche gerne mit dem Kollegium, aber nicht für es. Ich will keine Döschen anschleppen. Ich will arbeiten.
Und für meine Arbeit will ich gleichen Lohn!
Als ich jung war – wild, sportlich, abenteuerlustig, stark, voller Ideen und Power – dachte ich: Hey, Welt, hier bin ich! Was geht ab? Was steht an? Fragt mich, ich bin dabei, ich mache mit und ich habe viel zu bieten! Ich empfand mich als Mensch. Ich legte auf das Weiblichsein keinen großen Wert. Das war mir nicht wichtig. Ich war stark und ich hatte Power. Ich wollte auf dem Schulhof mit Fußball spielen. Mensch, war das ein harter Kampf! Aber ich war gut und so durfte ich dann ins Tor. Ich war eine sehr gute Torwärtin und die Jungs klatschten mich mit ab. Ich habe auch Jungs verhauen. Und sie mich. Ich hatte einen großen Bruder und konnte andere sehr effektiv in den Schwitzkasten nehmen. Ich war stolz auf meinen Mut und meine Kraft! (Meine Mutter nicht so ….)
Auch heute ist mir mein Menschsein wichtiger. Es ist mir wichtiger als Mensch ernst genommen zu werden. Es mir wichtiger, dass hinter der Fassade einer erkennbaren Frau ein Mensch mit vielen Kompetenzen steht.
Frausein ist auch wunderbar und kann jederzeit in den Vordergrund kommen. Aber es ist nicht mein erstes Gefühl zu mir. Und ich wünsche mir, dass es auch nicht das erste Gefühl von anderen ist: Ah, eine Frau!
Ich bin mein Leben lang erschrocken darüber, wie fest konventionelle Vorstellungen in vielen Köpfen, männlichen wie weiblichen, verankert zu sein scheinen. Auch zum Nachteil vieler Männer, die als Pendant zur Mutter und Frau zu Hause im Beruf festgetackert sind. So werden sie oft um die Chance gebracht, in der Familie nicht nur den TeppichTiger zu geben, sondern Familie zu Hause gleichberechtigt und „gleichbepflichtigt“ mitzugestalten.
Schade für beide Geschlechter.
Somit machen sich Frauen heute immer noch finanziell abhängig von (meistens) Männern, während Männer sich im Verhältnis immer noch nicht finanziell von Frauen abhängig machen. Und, meist, auch nicht machen möchten.
Niemand sollte sich finanziell von jemand anderen abhängig machen müssen, um einem Lebenswunsch verwirklichen zu können. Und trotzdem ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nach wie vor strukturell und kulturell ein Thema in Deutschland.
Auch 2020
- sind Alleinerziehende weiblich.
- versorgen Frauen nach wie vor Angehörige und Haushalt.
- gibt es wenig Frauen in den MINT-Fächern.
- sind Frauen in allen Bereichen der Arbeitswelt als Führungskräfte unterrepräsentiert.
Überwiegend.
Das ist nicht Neues, ich weiß. Aber je älter ich werde, umso erschrockener bin ich über die tiefen Strukturen in unserer Kultur und in unserer Arbeitswelt, die Frauen und Männer in Rollenbildern festhalten. Mal laut und offensichtlich, mal subtil.
(Immerhin sterben Frauen auch immer häufiger an Schlaganfällen und Herzinfarkten, weil ihr Leben im modernen Zeitalter des Alles-Könnens sehr viel kraftraubender geworden ist. Was für eine emanzipatorische Errungenschaft!!)
Nein: Es geht immer noch um die grundsätzliche Auflösung von weiblichen und männlichen Profilen, öffentlich und privat. Darum, dass jeder Mensch selber für sich bestimmen kann, wann er/sie wie fühlen oder sein möchte, falls er/sie dafür überhaupt eine Definition braucht. Und dass sein/ihr Fühlen und sein/ihr Sein nichts mit seinem/ihrem Können zu tun hat und damit, wie man dieses Können bezahlt.
Dass ein Mensch einem Menschen die Tür aufhält. Aus Freundlichkeit.
Dass ein Mensch einem Menschen gleichen Lohn bezahlt. Als logische Folge und wichtigste Form der Wertschätzung seines/ihres beruflichen Könnens.
Weil alle allen gleichgestellt sind. Zu Hause und im Beruf.
Gut behandelt und gut bezahlt.