Weißt du, dass wir so gut wie nie über Mode sprechen?
Mag sein, aber ist das wichtig? Gerade zurzeit? Zur Corona-Zeit? Wo die meisten von uns zuhause sitzen? Und echte Sorgen haben?
Klar gibt es gerade viele Dinge, die uns beschäftigen und Sorgen bereiten. Aber wie hältst du es mit deiner Kleidung, wenn du den ganzen Tag zuhause bist? Jogginghose und ran an den Schreibtisch oder rauf auf die Couch? Oder ziehst du dich „normal“ an?
Soll das heißen, Jogginghosen sind nicht normal?
In meiner Erziehung wurde auf das Äußere sehr großen Wert gelegt. Meine Mutter war immer sorgfältig modisch gekleidet und geschminkt, was ihre Mutter wiederum gar nicht war. Meine Großmutter liebte es im Garten zu arbeiten und in ihrer Küche zu werkeln. Ich habe sie nie geschminkt gesehen. Sie hatte eine feine Ausgehmontur, die ansonsten im Schrank hing. Ich weiß, dass meine Mutter gerne eine modernere Mama gehabt hätte, keine mit Küchenschürze als liebstes Kleidungsstück. Aber meine Großmutter antwortete bei Shoppingangeboten: Papperlapp, unnützes Zeug! Für sie selbst war sie perfekt angezogen mit ihrer praktischen Küchenschürze beim Arbeiten und ohne, wenn Gäste da waren. Und wenn ich jetzt zuhause bin, womöglich noch ganz alleine, ist Schlabberlook doch völlig in Ordnung.
Natürlich sind das normale Klamotten, wenn du joggen gehst oder sonst irgendwie Sport machst. Dann trage selbst ich meine Yoga-Hose. Ich muss gestehen, eine Jogginghose, so ein richtig schlabberiges Teil mit Gummi oben und unten, habe ich seit 30 Jahren nicht mehr besessen. Und davor bin ich mir auch nicht sicher…
Echt nicht? Warum?
Ich fühle mich dann schlicht nicht angezogen. Als würde ich im Schlafanzug rumlaufen. Es mag bequem sein, aber bequem ist mein Kleid auch. Mein Jüngster hat in der Pubertät mal gesagt: Eltern sind wie Pyjamas, im Haus okay, draußen nur peinlich. Das gilt mindestens auch für Jogginghosen. Und diese Schlabberdinger, die sind für mich nicht mal im Haus denkbar.
Aber es ist doch total bequem und entspannend, sich einfach nur etwas Lockeres anzuziehen und sich mit einem Buch aufs Sofa zu kuscheln? Und so ein altes Schlabberteil kann doch der Inbegriff des Bequemen sein. Gerade im Moment kommt garantiert keiner klingeln und will etwas von dir. Selbst dem Paketboten brauchst du die Tür nur einen Spalt breit zu öffnen. Warum willst du dich da stylen oder in Jeans oder sogar einen Rock zwängen? Weißt du, ich bin da vorbelastet: Meine Mutter war ein bisschen enttäuscht, dass ich mich weniger für Mode interessierte. Deswegen bekam ich immer ganz viel Lob, wenn ich ordentlich aussah. Dieses Lob war in den 70ziger Jahren stereotypisch an den üblichen Merkmalen eines hübschen, lieben Mädchens orientiert. Dazu gehörte, nicht zu dick zu sein, sich gerade zu halten, nicht zu laut zu sein, lieb zu sein, Befehle auszuführen, zu dienen, gehorsam zu sein, es allen recht zu machen, im Haushalt zu helfen…usw.
Ich bin wirklich kein Jogginghosen-Fan, aber DAS war schlimm. Schlimm für mich als eher wildes, sportliches, fantasiebegabtes Kind…und Mädchen.
Ohja, das kenne ich auch! Mein liebstes Teil war ein Eishockeytrikot aus Canada, das mein Bruder irgendwo aufgetrieben hatte, mindestens XXXL für mich. Das habe ich nur heimlich angezogen, zuhause brav einen Pulli drüber. Meine Mutter war auch immer sehr gepflegt, immer im Kleid, perfekt frisiert. Die taffe Geschäftsfrau in den 70ern. Es war für sie eine sehr harte Zeit. Wir Kinder wollten nie etwas Neues, unsere Klamotten konnten nicht alt genug aussehen. Natürlich ging das nicht jeden Tag, ich war ja auch lange ein braves Mädchen.
Aber das ist lange her. Ich zwänge mich in nichts mehr, was mir nicht gefällt. Mode hin oder her, die Zeit ist vorbei. Es geht mir einfach darum, angezogen zu sein.
Für wen kleidet man sich also eigentlich?
Für sich? Für andere?
Kleidet man sich aus einer Konvention heraus, einer Prägung in der Kindheit, mit Lob oder Tadel versehen? Ich kenne Menschen, die in – für mich – steriler Ordnung leben und unglaublich warmherzig und liebevoll leben. Ich kenne welche, die in einer scheinbaren Unordnung wohnen und brilliante Denker sind, scharf und präzise. Und ich kenne Menschen, von denen ich glaube, da passt das Äußere zum Inneren, scheinbar, denn wer will das schon beurteilen?
Da hast du Recht, letztendlich geht es darum, dass sich jeder in seinem Umfeld wohlfühlt, inwieweit das Innere und das Äußere zusammenpasst, ist letztendlich nur von jedem selbst zu beurteilen.
Ich sehe Mode und Kleidung, und letztlich auch die Einrichtung meiner Wohnung als einen Ausdruck meiner Selbst und meiner inneren Verfassung. Sich zu kleiden hat für mich etwas mit Wertschätzung zu tun, meiner Umgebung aber vor allem mir selbst gegenüber. Und gerade das wird oft vergessen, finde ich. Mein persönliches Wohlbefinden ist doch das wichtigste dabei, oder?
Ich hätte da ein schönes Experiment, einen Selbstversuch, nur für dich und deinen Spiegel:
Such deine älteste Unterwäsche, die du eigentlich schon immer wegwerfen wolltest, deine schlabberige Jogginghose und dein bequemstes Sweatshirt, zieh alles an und stell dich vor den Spiegel, ein paar Minuten lang. Erst mit offenen Augen, dann mit geschlossenen.
Dann zieh etwas anderes an, „normale“ Unterwäsche, Jeans oder was du sonst im Alltag anziehst und betrachte dich wieder im Spiegel.
Und dann mach dich schick, vom Slip bis zum Schmuck. Und wieder vor den Spiegel.
Meine verschiedenen ICHS in Corona-Zeiten!
Ja, vergiss nicht deine Schöne, Zauberhafte, Einzigartige!
Sie darf zwar kaum vor die Tür, aber trotzdem ist sie da!
Aber ich setz mich doch nicht im kleinen Schwarzen aufs Sofa oder an den Schreibtisch?
Warum nicht, hihi? Wäre ein Versuch wert! Vielleicht wäre das ein ganz neues Home-Office-Gefühl?
Klar, allseits bereit für die nächste Video-Schalte?
Na, mir geht es mehr um die Eigenwahrnehmung, auch wenn die Außenwirkung sicher super wäre!
Sozusagen positive Selbstmanipulation?
Wenn du es so nennen willst… man könnte auch sagen, wer bin ich heute? Für mich? Wie viel Aufmerksamkeit schenke ich mir heute? Was tut mir heute gut?
Ich habe mal vor vielen Jahren eine für mich wichtige Botschaft gehört von einer sehr taffen Frau, sie ist Mutter von 5 Töchtern, damals die meisten in der Pubertät, ständig beschäftigt in Haus und Hof. Sie sagte mal sinngemäß, dass sie für sich beschlossen hätte, sich jeden Morgen so anzuziehen und fertig zu machen, dass sie jederzeit aus dem Haus gehen könnte. Obwohl sie meist zuhause ist und dort arbeitet.
Das hat mich sehr beeindruckt. Natürlich kann ich mal in Schlabberklamotten zuhause abhängen. Aber ich tue mir selbst keinen Gefallen, wenn das zur Normalität wird, nur weil ich viel zuhause bin wie jetzt gerade. Ganz nach dem Motto, mich sieht ja keiner. Denn das stimmt nicht. Du siehst dich! Und irgendwie spürt es dein Körper auch.
Okay, gerade ist Sofa-time, also Schlabberlook angesagt: Aber deine Challenge, die probiere ich aus! Genug Klamotten dafür hängen definitiv im Schrank !
Bin gespannt was du erzählst. Und ich mache den Selbstversuch: Ein Tag in Schlabberhose…ohjee j!
Be brave, girl 😊